tierretter.de wurde Mitte 2019 aktuelles und umfangreiches Videomaterial aus vier verschiedenen Schweinemastbetrieben im Kreis Steinfurt übermittelt. Die Zustände, die auf diesen Filmaufnahmen zu sehen sind, scheinen symptomatisch für einen gesamten Geschäftszweig der Landwirtschaft zu sein, in dem Tierquälerei zum Arbeitsalltag gehört.
In jedem der vier Ställe konnten Tiere mit massiven Verletzungen gefunden werden. Mastdarmvorfälle, abgebissene Schwänze, nekrotisches Gewebe, extrem entzündete Beine. Obwohl alle Tiere zu diesem Zeitpunkt unter diesen schlimmen Verletzungen leiden, beginnt ihr Leid schon viel früher. Denn diese Tiere verbringen ihr gesamtes Leben in dunkeln Betonbuchten in völliger Langeweile. Die Bemühungen einen Holzscheit oder ein Stück Gummi als Beschäftigungsmaterial zu bezeichnen sind der blanke Hohn angesichts der Neugierde, die Schweine an den Tag legen.
Schweine leben in Deutschland vor allem auf Vollspaltenboden, das heißt, dass sich Schlitze im Boden befinden, durch die der Kot in ein Becken unter den Anlagen fällt. Wir vermuten, dass sich jeder Mensch vorstellen kann, wie es stinken würde, wenn wir keine Spülung in unseren Toiletten hätten, sondern unser Kot einfach nur in ein Auffangbecken unter dem Haus fallen würde. Dazu kommt, dass Schweine wesentlich bessere Geruchsorgane haben als wir Menschen.
Tatsächlich sind viele der Tiere, die besonders schwere Verletzungen aufweisen, auf die ein oder andere Art und Weise in den Ställen separiert. Das ist so vom Gesetz auch vorgeschrieben. Deswegen wird es auch angesichts dieser Bilder wieder Vertreter oder Vertreterinnen der Landwirtschaft geben, die sagen: „Auch Menschen werden krank“, „Das sind ja nur die Krankenbuchten“ oder „Nicht alle Tiere sehen so aus“. Und all diese Aussagen stimmen auch. tierretter.de möchte nicht den Eindruck erwecken, dass jedes Tier solche schlimmen Verletzungen hat. Allerdings ändert dieser Sachverhalt nichts an dem Leid, das diese kranken Tiere ertragen müssen.
Die tierhaltende Landwirtschaft versucht durch solche Aussagen immer wieder, die Verantwortung von sich wegzuschieben. Tatsache ist jedoch: Die Tiere werden erst durch Zucht und Haltungsbedingungen krank gemacht. Einzelne Landwirte und Landwirtinnen solcher Betriebe sind deshalb als Teil eines Ganzen zu verstehen. Denn die gesamte Tierindustrie mit all ihren Funktionären verteidigt derartige Zustände und heißt sie sogar gut. Deswegen ist natürlich der Landwirt und die Landwirtin im Einzelnen, der/die einen solchen Stall betreibt, als auch die Tierindustrie im gesamten, die solche Zustände eben auch verteidigt und sogar gutheißt, dafür verantwortlich zu machen.
Die Sache mit der Transparenz
Tatsächlich behauptet mittlerweile ein Großteil der Bevölkerung gegen diese ominöse „Massentierhaltung“ zu sein, die in aller Munde ist. Einem weniger großen Teil der Bevölkerung ist dabei auch klar, dass über 95% des gesamten Fleisches in Deutschland aus genau solchen Haltungsbedingungen kommt, die gemeinhin als „Massentierhaltung“ geschimpft werden. Also auch das Schnitzel, das diese Menschen innerhalb 10 Minuten gegessen haben, bevor sie über die schlimme Massentierhaltung geschimpft haben.
Die Aufnahmen dieser Veröffentlichung stammen übrigens nicht aus „Massentierhaltung“ - sie stammen aus gut bürgerlichen, mittelständigen Familienbetrieben! Das sind die Ställe, bei denen der Bauer oder die Bäuerin jedes Tier beim Namen kennt und sie noch einmal streichelt, bevor er oder sie sie auf den Schlachttransporter treibt. ... vielleicht nicht ganz, aber genau diesen Eindruck versuchen Bauernverbände immer wieder zu erwecken, wenn sie das grausame Tun in den Ställen verteidigen will.
Einer der Betriebe sticht besonders ins Auge. Denn er nimmt an einem der vielen vermeintlichen Transparenzprogramme der tierhaltenden Landwirtschaft teil. Schließlich hat die Landwirtschaftslobby längst erkannt, dass ihnen die Bauernhofidylle-Bilder nun wirklich nicht mehr abgekauft werden. Deswegen glaubt die Tierlobby, dass man einfach nur erklären muss, warum die Tiere jetzt so schrecklich behandelt werden und dann ist alles gut.
Diese Bilder stammen aus dem Stall, an dessen Fassade sich ein Flyerhalter mit Broschüren des Programms „Einsichten in die Tierhaltung“ befand.
Jetzt stellen wir Ihnen eine wichtige Preisfrage, sie gewinnen aber leider keine Million, dürfen nicht das Publikum befragen und dürfen auch nicht bei einem Bauernverband ihrer Wahl anrufen.
Welche klassischen Problematiken der Nutztierhaltung spricht der Flyer von „Einsichten in die Tierhaltung“ an?
A: Kastration der männlichen Ferkel
B: Systematisches Abschneiden der Ringelschwänze
C: Schwanzbeißen
D: Abschleifen der Eckzähne
Genau! Richtig geraten – keine einzige!
Die Landwirtschaft zeigt nämlich keine echte Transparenz, sie heuchelt sie nur! Es werden einfach problematische Themenbereiche ausgeblendet oder wenn es halt wirklich notwendig ist, so lange schöngeredet, bis auch der empathischste Mensch es auf einmal vollkommen o.k. findet, Ferkeln ohne Betäubung ein Skalpell in den Hodensack zu stecken um dann die Hoden abzuschneiden ... ja, ohne Betäubung.
Deswegen ist es auch total logisch, dass interessierte Verbraucher und Verbraucherinnen durch ein einziges Stallfenster gucken dürfen. Wenn aber engagierte Tierrechtsaktivist*innen Aufnahmen aus genau diesem Stall veröffentlichen, dann sei das eine manipulierte Momentaufnahme. Wie soll das bitte erklärt werden?
Das ist kein Einzelfall, sondern vier Einzelfälle ...
Diese Aufnahmen stammen aus nur einem Landkreis; aus Ställen, die nur wenige Kilometer auseinander stehen. Sollte es sich dabei um Einzelfälle handeln, wäre das schon ein Zufall, der einem Sechser im Lotto gleichkommt. Jetzt nehmen sie noch die Informationen der letzten Jahre dazu: Immer wieder wurden solche Zustände öffentlich gemacht. Um Einzelfälle handelt es sich dabei nicht, Bedingungen wie diese gehören genauso zur Schweinemast, wie die schlechten Sprüche aus der Bratwurst-Werbung.
Rückendeckung gibt es bezüglich der „Einzelfallfrage“ übrigens auch von der Justiz. Denn wenn dies besonders schlimme Einzelfälle wären, würden diese doch bestimmt mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden. Nix da! In der Vergangenheit folgten Zuständen wie diesen nur selten echte Konsequenzen.
Bauern sind keine Tierquäler
Immer wenn solche Aufnahmen veröffentlich werden, entstehen Diskussionen um die Wortwahl „Tierquäler“ für die Verantwortlichen dieser Zustände. Tatsächlich ist dies auch eine Vereinfachung, denn die verschiedenen Bäuerinnen und Bauern haben ja gewiss keinen Spaß im eigentlichen Sinne daran, Schweinen ein so unermessliches Leid zuzufügen. Es ist ihnen halt einfach nur egal. Es sind unvermeidbare Kollateralschäden.
Anders können wir uns nicht erklären, warum Aktivist*innen, die solches Tierleid aufdecken, immer noch kriminalisiert werden. Wenn solche Zustände der Landwirtschaft wirklich nicht egal wären, würde endlich über einen Ausstieg aus diesem grausamen System diskutiert werden und nicht über ein paar Zentimeter mehr Platz in beengenden Buchten. Dann würde es keine Solidaritätsbekundungen von anderen Landwirtinnen und Landwirten ob dieser unermesslichen Frechheit der Aktivist*innen, die die Transparenzversprechen der Industrie auf die Probe stellen, geben.
Solange die tierhaltende Landwirtschaft, deren Lobby, die Politik und eben auch die einzelnen Landwirtinnen und Landwirte alles dafür tun, das bestehende System zu verteidigen und beizubehalten, muss man diese Menschen als das bezeichnen, was sie sind: Tierquäler und Tierquälerinnen, die den Grundstein dafür legen, dass Millionen von fühlenden Lebewesen eingesperrt werden, ihnen unermessliches Leid zugefügt wird und allen letzten Endes ein Messer in den Hals gestochen wird.
... aber es sind doch nur Schweine!
Schweine sind intelligente Tiere. Aktuelle Studien zeigen, dass sie mindestens so intelligent sind, wie Hunde und ein sensibles Sozialverhalten aufweisen. Im Gegensatz zu Schweinen werden Hunde in Deutschland aber nicht getötet, um ihre toten Körper dann auf einen Grill zu werfen und das Ganze als Kulturgut zu bezeichnen, um es noch mit einem stumpfen Spruch à la „Schmeckt halt!“ zu rechtfertigen.
Gerade deshalb ist der „Hunde-Test“ ein adäquates Mittel, um zu überprüfen, ob sie die Haltungsbedingungen in Schweinemastbetrieben mit ihren moralischen Vorstellungen vereinbaren können.
Schauen sie sich einmal die Bilder in diesem Artikel und dem Film an und fragen sie sich, was sie fühlen und empfinden würden, wenn dies Hunde wären. Sie wissen schon, diese kleinen fluffigen Welpen vielleicht ... oder der Hund von ihren Nachbarn, ihren Verwandten. Der Hund der in ihrer Kindheit bei ihrer Familie gewohnt hat oder der vielleicht jetzt gerade auf ihrem Schoß liegt.
Würden sie es tolerieren, wenn dieser Hund sein gesamtes Leben lang in einer Betonbucht eingesperrt wäre? Dass mit ihm nicht mal Gassi gegangen wird, wo er sein großes Geschäft machen kann, sondern gezwungen ist, dort zu koten, wo er auch schläft. Was würden sie darüber denken, wenn seine Rute abgeschnitten wird, damit er mit vielen Artgenossen auf engem Raum „gehalten“ werden kann?
Aber es geht nicht nur um diese Haltungsbedingungen, es geht um viel mehr. Stellen sie sich vor, sie freuen sich, einen Hund wiederzusehen, den sie schon lange nicht mehr gesehen haben. Und dann sagen die Menschen, in deren Obhut er gelebt hat: „Der ist jetzt tot, war lecker!“ Und sie fragen diese Menschen: „Aber warum habt ihr das getan?“. „Naja, das haben wir schon immer so gemacht, er wurde ja nur geboren, damit wir ihn essen können. Deswegen ist das schon ok!“!
Vielleicht wirkt dieses Beispiel auf sie polemisch, vielleicht verstehen sie jetzt aber auch, warum sich viele Menschen in Deutschland dafür einsetzen, dass diese Tierquälerei endlich ein endgültiges Ende findet!
Die wichtigste Frage zu den Aufnahmen und den Zuständen in Schweinemastbetrieben können wir ihnen hier und jetzt übrigens nicht beantworten. Denn diese Frage müssen sie sich selbst stellen und auch selbst beantworten: Möchten sie weiterhin mitverantwortlich dafür sein, dass Schweinen all diese Dinge angetan werden? Oder möchten sie lieber Teil jener gesellschaftlichen Bewegung sein, die sich dafür einsetzt, dass diese Zustände enden ... ?
(P.S.: Falls Ihnen die Tiere echt egal sind - es gibt auch noch zahlreiche Umwelt- und Klimagründe, wegen denen man sich gegen Tierhaltung aussprechen sollte)