Was ist gerecht? Das was unser Gesetz legitimiert… Oder sollte Gerechtigkeit auch anders betrachtet werden, kann Legales auch ungerecht sein?
Diskussionsgrundlage
Fragen wie diese definieren die Diskussion um das Bildmaterial, dass tierretter.de e.V. in einem Westfleisch-Zulieferbetrieb im hessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg gesammelt hatte. Der Landwirt selber hat den Weg an die Öffentlichkeit gewählt um sein Tun zu rechtfertigen. Und das ist sein gutes Recht, denn tatsächlich, im Großen und Ganzen handelt der Betrieb nach den gesetzlichen Vorgaben. Ob die Tiere dort dennoch leiden oder nicht, das ist dabei offensichtlich eine Ansichtssache.
Was zeigen die Aufnahmen?
Schweine auf Spaltenböden, viele Tiere sind verdreckt mit ihrem eigenen Kot, Maden kommen teilweise aus dem Boden nach oben. Ein Schwein hat einen Nabelbruch, andere Tiere entzündete Augen, einige können nicht mehr aufstehen. In einem Gang zwischen den Buchten wird ein Schwein separiert, frisches Trinkwasser ist für dieses Tier nicht verfügbar.
tierretter.de hat diese Aufnahmen Mitte Oktober veröffentlicht. Insgesamt wurde in sechs Betrieben dokumentiert, die allesamt Zuliefererbetriebe für Westfleisch sind. Die Aufnahmen wurden bei ARD, WDR und dem HR gesendet. Daraufhin ging der Landwirt selbst in die Offensive und stellte sich den Vorwürfen.
Zwischen angeblichem Tierwohl und Normalität
Die gesehenen Zustände seien legal. Mehr noch, der Stall habe zusätzliche ‚Tierwohl-Standards‘, indem er an der ‚Initiative Tierwohl‘ teilnehme und sei noch nie auffällig geworden. Die ‚Initiative Tierwohl‘ wurde von der Branche selbst ins Leben gerufen. Überspitzt gesagt ist sie eine Präventiv-Taktik um Veröffentlichungen wie der unseren vorzubeugen. Die Initiative gibt der Landwirtschaft die Möglichkeit zu sagen - „Wir arbeiten daran“. Werden die Bedingungen betrachtet, ändert sich für die Tiere kaum etwas: 10% mehr Platz bedeuten nur einige DIN-A4 Zettel mehr pro Tier, eine Hand voll Stroh macht aus den tristen und reizarmen Betonbuchten auch keine grüne Wiese. Besonders angesichts dieser Bilder muss deutlich werden: Das ‚Tierwohl‘, für dass sich die Industrie selber einsetzt ist nichts als der blanke Hohn den Tieren gegenüber.
Auch die Veterinärkontrollen zeugen bei einer unangemeldeten Kontrolle von einer nicht zu beanstandenden Tierhaltung, was auch durch vorangegangene Kontrollen bestätigt wurde.
Wie sind die Aufnahmen und besonders diese Fakten also zu werten? tierretter.de möchte mit den veröffentlichten Aufnahmen vor allen Dingen genau das, was Veterinärbehörde und Landwirt auch sagen, bezeugen: Tierhaltungen wie diese und das damit einhergehende Tierleiden sind die Norm in deutschen Ställen.
Die Alltäglichkeit des Tierleids
So werden beispielsweise die mit Kot verdreckten Tiere so erklärt, dass unter bestimmten klimatischen Bedingungen die Tiere sich im Dreck suhlen - auch in ihrem eigenen Kot. Aber ist das eine Erklärung oder eine Entschuldigung? Denn Schweine können nicht schwitzen, deswegen suhlen sich Wildschweine oder Schweine unter quasi freiheitlichen Bedingungen, um sich abzukühlen. Das machen sie aber mitnichten in ihrem eigentlichen Kot, sondern in einer Matschsuhle.
Schweine sind ausgesprochen reinliche Tiere, die sich Kotplätze abseits der Schlafgelegenheiten suchen. In den Betrieben und den engen Betonbuchten haben sie keinen Platz dafür. Sie müssen sich dort entleeren, wo sie schlafen. Und um sich abzukühlen haben sie keine Suhle, sondern sind gezwungen sich in ihrem eigenen Kot zu legen. Nur weil das alltäglich ist, heißt das aber doch nicht, dass das keine Tierquälerei ist.
Ähnliche Argumente erklären vermeintlich auch die Maden, die in dem Betrieb aus dem Spaltenboden und der Kotgrube nach oben in den Bereich der Schweine wanderten. „Maden gibt es in jedem Betrieb“ - was vor allem Rückschlüsse auf die generell katastrophalen Lebensbedingungen der Tiere zulässt. Denn Schweine leben permanent über ihren eigenen Exkrementen, sie werden in einem Güllebehälter unter den Buchten gesammelt. Es stinkt entsetzlich.
Die Separierung eines kranken Tiers im Buchtengang wurde ebenfalls nicht bemängelt und zur Bindehautentzündung vieler Tiere: „Das kann in jedem Betrieb vorkommen“. Auf die Schweine, die nicht mehr in der Lage waren aufzustehen, wurde nicht eingegangen.
Also alles in Ordnung?
Der Landwirt sieht sich zu Unrecht am Pranger. Ein Pranger, den tierretter.de nie erstellt hat. Der Name des Betriebs war nur Pressevertretern und Pressevertreterinnen bekannt, um Rückfragen an den Betrieb zu stellen. Dass sein Name genannt wird, hat der Landwirt selber entschieden. tierretter.de kritisiert das System, unter dem die Schweine zu leiden haben - nicht die einzelnen Akteure, und damit auch die Landwirte, die das System am Leben erhalten. Eine Veränderung kann nur gesamtgesellschaftlich stattfinden. Und um eine Veränderung in Gang zu setzen braucht es eine Diskussion, die wir mit unseren Aufnahmen anregen möchten.
„Wir müssen die Tiere so halten, dass sie Leistung erbringen und dass wir damit auch ein Einkommen erzielen können.“ Mit dieser Aussage rechtfertigt der Landwirt die Aufnahmen und seine Schweinehaltung. Und damit formuliert er unsere Kritik an der ’Nutz’tierhaltung genauso, wie wir sie auch formulieren. Tiere in der Industrie sind nicht ihrer selbst willen, das können und sollen sie nicht sein. Schweine, Hühner, Rinder und viele andere Tierarten sollen vor allem eins - Profit bringen. Wenn nun Lobby und Branchenvertreter Begrifflichkeiten wie Tierwohl und Tierschutz ins Spiel bringen, ist das der blanke Hohn, denn Tierwohl und Tierschutz wäre es, diese Tiere gar nicht erst zu züchten um sie dann unter so grausamen Bedingungen einzusperren. 10% weniger Enge machen immer noch viele Schweine in winzigen Betonbuchten, ein Spielzeug oder eine Handvoll Stroh pro Tag sieht bestenfalls besser aus. Für die Tiere, die als genauso intelligent wie Hunde eingeschätzt werden, macht das kaum einen Unterschied.
Tiere werden in diesem System zu Waren degradiert. Ihre Körper werden verkauft, und an dem Ertrag werden sie gemessen. Genau dieses System gilt es zu kritisieren. Und genau diese systematische Ausbeutung wurde im Rahmen der Westfleisch-Veröffentlichung vor allem an diesem Stall klar.
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