Eine Muttersau, eingesperrt in enge Drahtgitter. Im Buchtengang dahinter: Zwei ihrer toten Kinder. Absoluter Standard in Schweinezuchtbetrieben.
Werner Schwarz, Präsident des Bauernverbandes Schleswig-Holstein und Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes, agiert nicht nur als ein führender Lobbyvertreter der tierhaltenden Landwirtschaft sondern betreibt in Rethwisch auch selber einen Betrieb mit Schweinen. In seinem Stall hat er im Abferkelbereich eine Webcam installiert, die alle 20 Sekunden ein Live-Bild ins Internet streamt – diese filmte letzte Woche auch tote Ferkel im Buchtengang.
Die tierhaltende Landwirtschaft hat es nicht leicht – speziell Betriebe, die sich auf Schweinemast und Schweinezucht spezialisiert haben. Innerhalb von einem Monat veröffentlichen gleich drei verschiedene Tierrechtsvereine Bildmaterial aus Betrieben – speziell aus Betrieben die Schweine ‚halten‘. Während sich die Öffentlichkeit empörte, reagierten Verbände und Industrievertreter wieder mit Aussagen über Einzelfälle, vereinzelte problematische Zeitpunkte in den Ställen, Verfehlungen einzelner MitarbeiterInnen, aber auch von manipulierten Bildern – so behauptete Johannes Röring, CDU-Bundestagsmitglied und Präsident des WLV, dass die AktivistInnen eintotes Schwein in die Bucht gelegt hätten um es zu filmen.
Um aus der Verteidigungsstellung nach solchen Veröffentlichungen herauszukommen, gibt es immer mehr Bestrebungen, selbst Transparenz zu zeigen und die Stalltüren zu öffnen. Deshalb installierte Werner Schwarz bereits 2013 in seinem Schweinestall eine Webcam, die seitdem alle 20 Sekunden ein Livebild in das Internet streamt. Schon damals waren die Reaktionen gespalten, die Bilder bewegten sich zwischen tatsächlicher Transparenz und beschönigenden Aussagen. So wird gezeigt, dass Muttersauen während der Geburt und in der Zeit danach so fixiert werden, dass sie sich nicht einmal umdrehen können. Dieser „Ferkelschutzkorb“ soll verhindern, dass die Mutter ihre Kinder erdrückt, wenn sie sich hinlegt – Standard in der Schweinezucht, eine grausame und tierverachtende Praxis sagen die Tierschützer*innen. Dass allgemein größere Buchten dieses Problem ebenfalls minimieren würden, ohne dass Schweine derart fixiert werden müssen, wird weniger offen kommuniziert. Auch tote Ferkel gehören in der Zucht zum Standard, sie werden tot geboren oder kommen schwach zur Welt und sterben kurz nach der Geburt.
Werner Schwarz äußerte sich damals dazu, dass auch gezeigt werden soll, wenn mal ein Ferkel tot ist. Und genau das ereignete sich am 21.10.2016. Mindestens zwei tote Ferkel liegen deutlich sichtbar im Buchtengang für mindestens zwei Stunden. „Wahrscheinlich, war das schön öfter auf der Webcam zu sehen, dies ist nur der erste Fall, dass ein Tierrechtsverein darauf aufmerksam geworden ist“, erklärt Christian Adam von dem Verein tierretter.de e.V. die Bilder: „Tote und sterbende Ferkel gibt es in jedem Schweinezuchtbetrieb. Ob konventionell oder bio, das macht keinen Unterschied“.
Warum sind diese Bilder dann relevant? Christian Adam führt aus: „Tote Ferkel, weggeschmissen wie Müll als einkalkulierter Verlust? Das ist ein Skandal, ganz egal ob von einer weitwinkligen Webcam eines Industrievertreters oder von vegan lebenden TierrechtsaktivistInnen gefilmt. Dass die Webcam diese Bilder eingefangen hat bestätigt nun die Bilder und Aussagen von TierrechtlerInnen, die von der Industrie gerne als skandalisierend oder manipulativ abgestempelt wurden.“
Schon damals ging der Betreiber der Webcam auf die toten Ferkel in Zuchtbetrieben ein und urteilte lapidar, dass dies „die Natur“ sei. Unter anderem wird die hohe Mortalität bei Ferkeln auf die Zucht auf hohe Wurfgrössen zurückgeführt und natürlich sterben trotz ‚Ferkelschutzkorb’ auch Tiere, weil sie erdrückt werden.
„Bei perfekt durchoptimierten Tierausbeutungssystemen, bei denen die Tiere auf Spaltenboden in automatisierten Hallen leben von Natur zu sprechen ist lächerlich. An diesen Tieren und deren Ausbeutung ist nichts natürlich, sie wurden so gezüchtet, dass sie den meisten Gewinn bringen, dass dabei vermehrt zu schwachen Ferkel oder Totgeburten wird hingenommen.“, urteilt Christian Adam scharf.
Schweinezüchter und gerade die ‚Ferkelproblematik’ standen immer wieder im Licht der Öffentlichkeit, beispielsweise als 2014 eine umfangreiche Recherche belegte, dass angeblich nicht überlebensfähige Ferkel in großer Zahl getötet wurden, indem sie auf Stallböden oder Buchtenkanten geschleudert wurden. Das legale Verfahren ist dabei nicht weniger brutal, den Ferkeln wird mit einem Hammer auf
den Kopf geschlagen um sie zu ‚betäuben‘, danach wird ihnen ein Skalpell in den Hals gesteckt um sie ‚ausbluten‘ zu lassen
„Die Bestrebungen der Landwirtschaft selber mehr Transparenz zu schaffen begrüßen wir, die ideologische Färbung, die damit einhergeht lehnen wir ab. Wir scheuen uns nicht vor einer Versachlichung der Diskussion um Tiernutzung, denn es gibt keine guten Argumente für die Tiernutzung, aber jede Menge dagegen. Werner Schwarz möchte mit seiner Webcam hauptsächlich verdeutlichen, dass es vollkommen in Ordnung ist, Tiere so zu quälen und ja, warum sollten wir es anders benennen: Wer Tiere quält ist ein Tierquäler und was soll das sonst sein, wenn Muttersauen in Käfige eingesperrt werden, in denen sie sich nicht bewegen können und wenn tote Ferkel einfach wie Müll im Buchtengang abgelegt werden. Wir brauchen keine Agrarwende in der Tierhaltung, wir brauchen eine Moralwende. Hin zu einer Moral, in der jedes Leben zählt. Auch das von Tieren.“, schließt Christian Adam ab.
http://www.bauernverbandsh.de/die-webcams/webcam.html – Hier ist die Webcam aus dem Stall von Werner Schwarz zu finden